Erstellt am 20.05.2025
VwGH vom 02.10.2024, Ra 2023/13/0154
§ 4 Abs. 2 ASVG
A) Persönliche Arbeitspflicht ist Grundvoraussetzung für die Annahme des Vorliegens persönlicher Abhängigkeit:
Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und damit eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses stets die persönliche Arbeitspflicht ist.
Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach dieser Bestimmung nicht vor.
Persönliche Arbeitspflicht ist (unter anderem) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann.
Ein „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ in diesem Sinn liegt vor, wenn es dem Beschäftigten offen steht, die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos abzulehnen.
Der Empfänger der Dienstleistungen kann unter solchen Umständen nicht darauf bauen und entsprechend disponieren, dass dieser Beschäftigte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht.
Die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen, ihm angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden.
Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen.
Selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, stünde im Verdacht, ein „Scheingeschäft“ zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl. §§ 539 und 539a ASVG).
Anders wäre ein Sachverhalt aber zB dann zu beurteilen, wenn der Dienstgeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jeder-zeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen („präsenter Arbeitskräftepool“) und es ihm - nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten - gleichgültig ist, von welcher - gleichwertigen - Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt.
Steht dem Dienstgeber die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem „Pool“ sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am „Pool“, mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl. zum Ganzen VwGH 11.4.2018, Ra 2017/08/0099 = WPA 15/2018, Artikel Nr. 394/2018).
Die Möglichkeit, sich (nur) bei Vorliegen entsprechender Gründe wie Krankheit und sonstigen Verhinderungen im Einzelfall zu entschuldigen bzw. vertreten zu lassen, fällt nicht darunter.
Sollte es sich um Arbeitskräfteüberlassung im Sinn des AÜG handeln, so würde sich das Recht auf Ablehnung einzelner Aufträge (Überlassungen) im Übrigen auch aus § 2 Abs. 2 AÜG ergeben, ohne dass dies die persönliche Arbeitspflicht ausschlösse (vgl. dazu auch VwGH 27.7.2015, 2013/08/0108).
Selbst ein sanktionsloses Ablehnungsrecht wäre aber noch nicht im Sinn einer völligen Unverbindlichkeit zu verstehen, die auch ein freies Dienstverhältnis ausschlösse.
Ein sanktionsloses Ablehnungsrecht nach der Zusage, bestimmte Dienstleistungen zu erbringen, wird im Allgemeinen vielmehr als einseitiges Gestaltungsrecht des Dienstnehmers oder auch als jederzeitiges fristloses Kündigungsrecht zu deuten sein, wobei aber eine Verpflichtung zur Dienstleistung besteht, soweit bzw. solange von der Option kein Gebrauch gemacht wird (vgl. in diesem Sinn VwGH 26.7.2023, Ra 2023/08/0084 bis 0085).