Erstellt am 19.08.2025
OGH vom 17.01.2025, 6 ObA 2/23x
§ 72 ArbVG
Art. 6 und 9 DSGVO
Sachverhalt:
Die Arbeitgeberin betreibt einen Essens-Zustelldienst mit Fahrradboten.
Sie kommuniziert mit ihren Arbeitnehmern primär per E-Mail oder Telefon, daneben erfolgt die Kommunikation zur Abwicklung der Zustellvorgänge über die App eines Drittanbieters.
Die Arbeitgeberin stellt ihren Arbeitnehmern keine dienstlichen E-Mail-Adressen zur Verfügung, sondern verpflichtet sie, ihr als Kontaktdaten eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse bekannt zu geben und diese aktuell zu halten.
Im Betrieb der Arbeitgeberin gibt es keinen Ort, an dem sich alle Arbeitnehmer regelmäßig aufhalten und so an diesem Ort angeschlagene Informationen regelmäßig sämtlichen Arbeitnehmern zukommen würden.
Ein beträchtlicher, konkret nicht feststellbarer Teil der Arbeitnehmer beginnt und beendet den Dienst vom Wohnort oder einem sonstigen, nicht dem Betrieb der Arbeitgeberin zugehörenden Ort.
Etwa 40 bis 60 % der Arbeitnehmer, die als Fahrradboten tätig sind, beginnen den Dienst von einer als „Hub“ bezeichneten Arbeitsstätte aus. Es handelt sich um eine Garage, die auch Lagerplätze für Betriebsmittel, Spinde und einen Aufenthaltsraum umfasst.
Es wäre dem Betriebsrat möglich, im Aufenthaltsraum Aushänge zu machen.
Es steht nicht fest, wie viele Arbeitnehmer regelmäßig diesen Aufenthaltsraum frequentieren.
Die Arbeitnehmer kommen nicht regelmäßig an den Betriebsratsräumlichkeiten vorbei.
Im Unternehmen besteht eine hohe Fluktuation.
Es kann vorkommen, dass es in einem Monat bis zu 100 Neueinstellungen oder bis zu 100 Austritte gibt.
Der Betriebsrat begehrt klageweise, dass ihm der Arbeitgeber die E-Mail-Adressen und Telefonnummern jener Arbeitnehmer, die von ihm vertreten werden zur Verfügung zu stellen sowie einen E-Mail-Verteiler, in dem die E-Mail-Adressen enthalten und für den Betriebsrat ersichtlich bzw. enthalten sind.
Zusätzlich stellte er das Begehren, dass ihm die Arbeitgeberin jeweils binnen 14 Tagen ab Kenntnis Aktualisierungen der E-Mail-Adressen und Telefonnummern sowie die E-Mail-Adressen und Telefonnummern neu eintretender Arbeitnehmer übermittelt sowie in den E-Mail-Verteiler aufnimmt.
Fraglich war, ob der Zugang zu den E-Mail-Adressen und Telefonnummern als Sacherfordernisse einzustufen waren, die gemäß § 72 ArbVG dem Betriebsrat vom Betriebsinhaber zur Verfügung gestellt werden mussten und ob diese Übermittlung auch ohne Zustimmung des jeweiligen Arbeitnehmers datenschutzkonform erfolgen würde.
So entschied der OGH:
Der OGH bejahte das Recht des Betriebsrates auf Übermittlung und Aktualisierung der privaten E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber, verneinte allerdings das Recht auf Übermittlung der privaten Telefonnummern der Arbeitnehmer.
Was das Recht auf Übermittlung der privaten E-Mail-Adressen betrifft, sieht der OGH auch kein Datenschutzproblem.
Aus den höchstgerichtlichen Entscheidungsgründen:
A) Befugnisse des Betriebsrates und das Datenschutzrecht:
Zur Rechtslage vor der DSGVO hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Befugnisse des Betriebsrats durch das Datenschutzrecht (damals DSG 2000) nicht berührt werden und jedenfalls im Bereich der Pflichtkompetenzen des Betriebsrats eine datenschutzrechtliche Interessenabwägung nicht erforderlich ist (6 ObA 1/14m).
Hervorgehoben wurde, dass dort, wo das ArbVG dem Betriebsrat eine von der individuellen Zustimmung der Arbeitnehmer unabhängiges Einsichtsrecht zuweist, eine solche nicht aus datenschutzrechtlichen Erwägungen verlangt werden kann.
Denn dadurch bestünde die Gefahr, dass einzelne Dienstnehmer vom Arbeitgeber unter Druck gesetzt würden, um entsprechende Einsichtnahmen und Kontrolltätigkeiten des Betriebsrats zu vermeiden (6 ObA 1/14m).
Vielmehr ist im Hinblick auf die vielfältigen Sanktionen im Fall der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch ein Betriebsratsmitglied jedenfalls davon auszugehen, dass der Gesetzgeber angemessene Garantien für die Wahrung des Datenschutzes auch durch den Betriebsrat geschaffen hat.
Diese Wertung wurde auch nach Inkrafttreten der DSGVO ausdrücklich aufrecht erhalten (9 ObA 51/22y).
Auch wenn eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung des Verhältnisses von Datenschutz- und Arbeitsverfassungsrecht fehlt, wurde das ArbVG, soweit es die Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext betrifft, nach § 88 Abs 3 DSGVO als „spezifischere“ Vorschrift im Sinn der Öffnungsklausel des Art 88 Abs 3 DSGVO notifiziert.
In der Literatur wird dazu vertreten, dass – unabhängig von der Annahme zusätzlicher Erlaubnistatbestände unter Berufung auf Art 88 DSGVO – Datenverarbeitungen in Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse in aller Regel nach den Erlaubnistatbeständen des Art 6 Abs 1 lit c (im Rahmen der Pflichtbefugnisse) oder lit f DSGVO sowie Art 9 Abs 2 lit b DSGVO zulässig seien.
Insofern bestehe eine „Sphärenharmonie“ zwischen Betriebsverfassungs- und Datenschutzrecht; die Grundsätze der Entscheidung 6 ObA 1/14m (aus der Zeit vor der DSGVO) sind auch unter der Geltung der DSGVO fortzuschreiben.
Demnach sind alle gesetzlichen Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats datenschutzrechtlich auf ihre betriebsverfassungsrechtliche Erforderlichkeit der Verarbeitung personenbezogener Arbeitnehmerdaten durch den Betriebsrat für den jeweiligen Zweck zu prüfen.
Die Erforderlichkeit ergibt sich entweder aus dem klaren Gesetzeswortlaut oder kraft einer Interessenabwägung im Dreieck Arbeitnehmer – Belegschaft/Betriebsrat – Arbeitgeber.
Außerhalb der Pflichtbefugnisse des Betriebsrats scheidet zwar der Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit c DSGVO aus, allerdings kann sich die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung innerhalb des Regelungsrahmens des ArbVG aus Art 6 Abs 1 lit f DSGVO, hinsichtlich sensibler Daten aus Art 9 Abs 2 lit b DSGVO ergeben.
Artikel 6 lit. c und f DSGVO lautet:
Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt;
f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.
Artikel 9 Abs. 2 lit b DSGVO lautet:
die Verarbeitung ist erforderlich, damit der Verantwortliche oder die betroffene Person die ihm bzw. ihr aus dem Arbeitsrecht und dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erwachsenden Rechte ausüben und seinen bzw. ihren diesbezüglichen Pflichten nachkommen kann, soweit dies nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten oder einer Kollektivvereinbarung nach dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Grundrechte und die Interessen der betroffenen Person vorsieht, zulässig ist,
B) Die Ausstattungspflicht mit Büroinfrastruktur:
Ganz grundsätzlich ist jedes Betriebsratsmitglied in seiner Funktion berechtigt, mit einzelnen Arbeitnehmern aktiv Kontakt aufzunehmen, diese zu informieren und Angelegenheiten zu besprechen, die deren soziale, wirtschaftliche, kulturelle und gesundheitliche Interessen berühren, oder sich deren Anfragen und Interventionen anzuhören.
In welcher Weise der Betriebsrat seine Interessenvertretungsaufgabe und in der Folge die Ausübung seiner Befugnisse anlegt, fällt in seine autonome Selbstverwaltung.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits im Rahmen der Ausstattung des Betriebsrats mit Büroinfrastruktur den Zweck der Regelung, nämlich die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe der Belegschaftsvertretung, betont.
Dieser Zweck ist den Regelungen über die Belegschaftsvertretung insgesamt immanent.
Denn dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, eine Belegschaftsvertretung als ein mit weitgehenden Befugnissen ausgestattetes Organ der Arbeitnehmerschaft einzurichten, ohne ihr eine effiziente, den betrieblichen Gepflogenheiten entsprechende Kontaktaufnahme mit den von ihr vertretenen Arbeitnehmern zu ermöglichen.
Das wäre aber der Fall, wollte man dem Betriebsrat verwehren, die dem Arbeitgeber bekannten und von diesem zur laufenden Kommunikation mit den Arbeitnehmern genutzten E-Mail-Adressen in Erfahrung zu bringen.
C) Recht auf Bekanntgabe der privaten E-Mail-Adressen:
Der Anspruch auf die Mitteilung der dem Dienstgeber bekannten E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer ergibt sich in einem Sachverhalt wie dem vorliegend festgestellten, in dem es sich bei den E-Mail-Adressen um eines der vom Arbeitgeber selbst primär genutzten Mittel der Kommunikation mit den Arbeitnehmern handelt, bereits aus dem Zweck der Einrichtung des Betriebsrats als Belegschaftsorgan und seiner Ausstattung mit umfangreichen (Einzel-)Befugnissen.
Die Übermittlung der dem Arbeitgeber bekannten E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer an den Betriebsrat ist in einer Fallkonstellation wie vorliegend festgestellt auch datenschutzrechtlich zulässig:
Da die proaktive Kontaktaufnahme des Betriebsrats mit den von ihm vertretenen Arbeitnehmern nicht schlechthin einer seiner Pflichtbefugnisse zugeordnet werden kann, ist in einer Konstellation wie der vorliegend festgestellten die Zulässigkeit der Datenverarbeitung nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO zu prüfen.
Nach der gebotenen dreigliedrigen Interessenabwägung ist eine Datenverarbeitung zulässig, wenn
ein berechtigtes Interesse vorliegt,
die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich ist und
die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen.
Im vorliegenden Sachverhalt ergibt sich das berechtigte Interesse der Belegschaftsvertretung an der Mitteilung der dem Dienstgeber bekannt gegebenen E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer aus dem Bedürfnis, in einer effizienten, den gegenwärtigen technischen Entwicklungen entsprechenden und betriebsüblichen Form mit den vertretenen Arbeitnehmern zu kommunizieren und dadurch die Befugnisse des Betriebsrats zweckdienlich ausüben zu können.
Darin liegt gleichzeitig ein legitimes Interesse der Belegschaft als Gesamtheit.
Dass die E-Mail-Adressen zur Verwirklichung dieses Ziels erforderlich sind, ergibt sich schon daraus, dass es sich um eines der auch von der Arbeitgeberin selbst primär genutzten Kommunikationsmittel handelt.
Ein relevanter Eingriff in die Privatsphäre dadurch, dass Arbeitnehmer auf jener E-Mail-Adresse, die sie ihrem Arbeitgeber zur Kommunikation im Zuge des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung stellen, auch von der Belegschaftsvertretung, also ebenfalls im beruflichen Kontext, kontaktiert werden können, ist nicht ersichtlich.
Überwiegende Interessen der betroffenen Arbeitnehmer stehen der begehrten Bekanntgabe der E-Mail-Adressen hier nicht entgegen.
Das Recht zur Bekanntgabe umfasst notwendig auch die E-Mail-Adressen der neu eintretenden Arbeitnehmer sowie die Mitteilung der Aktualisierungen, die auch der Arbeitgeberin von Arbeitnehmerseite jeweils mitgeteilt werden.
D) Kein Recht auf Bekanntgabe der privaten Telefonnummern:
Hingegen ist hier ein berechtigtes Interesse der Belegschaftsvertretung und der Arbeitnehmer daran, neben einer Kontaktaufnahmemöglichkeit per E-Mail zusätzlich über die privaten Telefonnummern der Arbeitnehmer zu verfügen, nur gering ausgeprägt.
Bei regelmäßiger Nutzung der E-Mail-Adresse – wovon auszugehen ist, wenn es sich dabei, um eines der primären Kommunikationsmittel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer handelt – ist die Telefonnummer des Arbeitnehmers auch für eine zeitnahe Kontaktaufnahme durch die Belegschaftsvertretung nicht erforderlich.
WIKU-Praxisanmerkung:
Die Themen „Betriebsverfassung“ und „Datenschutz“ stehen in „Opposition“ zueinander, so würde ein Astrologe das sich ergebende Spannungsfeld wohl bezeichnen.
Der OGH bleibt bei seiner Rechtsprechungslinie, die da lautet:
Vor einer Datenverarbeitung müssen Arbeitgeber und Betriebsrat zu allererst prüfen, ob dafür eine Rechtsgrundlage im Betriebsverfassungsrecht auszu-machen ist (zB im ArbVG).
Kann man dies bejahen, ist die datenschutzrechtliche Zulässigkeit ein Augenschein zu nehmen. Dabei muss wenigstens EIN Erlaubnistatbestand aus der DSGVO vorliegen.
Insgesamt müssen Arbeitgeber und Betriebsrat abwägen, welche konkreten Daten für den jeweiligen Zweck tatsächlich notwendig sind. Der Grundsatz der Datenminimierung (Art 5 Abs 1 lit c DSGVO) gebietet eine restriktive Handhabung. So wurde vom OGH das Begehren betreffend die Mitteilung der privaten Telefonnummern abgewiesen, jenes betreffend der privaten E-Mail-Adressen aber akzeptiert.