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Keine Bindung an die Bescheinigung A 1 innerhalb des ausstellenden Landes

Erstellt am 04.09.2025

VwGH vom 06.05.2025, Ra 2022/08/0141

VO (EG) 884/2004

So entschied der VwGH:

  1. Im Erkenntnis vom 12. September 2012, 2010/08/0085 hat der Verwaltungsgerichtshof unter anderem festgehalten, dass aus der Rechtsprechung des EuGH zwar zu entnehmen ist, dass die Mitgliedstaaten an vom zuständigen Träger eines anderen Mitgliedstaates ausgestellte Bescheinigungen E 101 (nunmehr: A 1) gebunden sind.

  2. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass eine ebensolche Bindungswirkung auch innerhalb des Mitgliedstaates, dessen zuständiger Träger die Bescheinigung ausgestellt hat, eintritt.

  3. Vielmehr ergibt sich schon aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Richtigkeit der Bescheinigung zu überprüfen und sie gegebenenfalls zurückzuziehen, dass der zuständige Mitgliedstaat grundsätzlich die Möglichkeit haben muss, den der Bescheinigung zugrunde liegenden Sachverhalt und dessen Subsumtion unter die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ohne Bindung an die ausgestellte Bescheinigung neu zu beurteilen.

  4. Bindende Wirkung entfaltet eine solche Bescheinigung (daher nur) gegenüber Trägern (und Gerichten: vgl etwa EuGH 6.9.2018, C-527/16, Alpenrind) eines anderen Mitgliedstaates als jenem, in dem sie ausgestellt wurden.

  5. Hingegen ist keine Bindungswirkung gegenüber den von einer Einrichtung desselben Mitgliedstaats ausgestellten Dokumenten gegeben.

  6. In einem Verfahren betreffend die Feststellung der Pflichtversicherung ist ohne Bindung an eine zuvor von einer mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt ausgestellte Bescheinigung zu klären, ob die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit österreichischen Sozialversicherungsrechts nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gegeben sind.

  7. Damit geht einher, dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des Verfahrens über die Beschwerde gegen einen Bescheid über die Feststellung der Pflichtversicherung bei einer Nachprüfung dieser (ohne Bindung an die Bescheinigung vorzunehmenden) Beurteilung gegebenenfalls auch zu einer anderen Auffassung gelangen kann, als der bescheiderlassende Träger der Sozialversicherung.

  8. Das in Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vorgesehene Dialog- und Vermittlungsverfahren kommt in diesem Zusammenhang nicht zur Anwendung, weil dieses nur den Fall regelt, dass der Träger, der eine A1-Bescheinigung erhält (sohin jener eines anderen Mitgliedstaates als dem des ausstellenden Trägers), die ihr zugrundeliegenden Annahmen in Frage stellt und deshalb den ausstellenden Träger ersucht, die Bescheinigung zu widerrufen, und wenn die Träger oder Behörden mehrerer Mitgliedstaaten unterschiedliche Meinungen darüber haben.

  9. Wurde von Seiten der ÖGK in einem konkreten grenzüberschreitenden Fall eines Selbständigen und Dienstnehmers, der in Österreich seinen Hauptwohnsitz hatte, festgestellt bzw. festgelegt, dass österreichisches Sozialversicherungsrecht in Bezug auf die Dienstleistungen, die auch in Deutschland erbracht wurden, zur Anwendung zu gelangen hätte und darüber eine A1-Bescheinigung ausgestellt, so durfte das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der Überprüfung des ausgestellten Bescheides „anderer Ansicht“ sein und war nicht an das A1 gebunden (im Gegensatz zu den deutschen Behörden und Gerichten).

Autor: Wilhelm Kurzböck